Der Zirkusreiter – Teil 2

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Zweiter Teil

»Was?«, krächze ich. Mehr ist nach diesem unerwarteten – und unerwünschten – Heiratsantrag nicht drin.
Sebastian tritt von einem Fuß auf den anderen.
»Ich bin ja der Meinung, ich hätte bei deinem Vater um deine Hand anhalten müssen, aber meine Mutter sagt, ich soll erst dich fragen.«
Aha!
»Nein, ich will nicht!«, sage ich fest.
Nun starrt er mich völlig perplex an.
»Aber du bist doch noch niemandem versprochen? Mir scheint, eine Hochzeit zwischen unseren Familien wäre eine vernünftige Angelegenheit.«
Vernünftig?! Aus welchem Jahrhundert ist dieser Sebastian denn entwischt? Gegen den ist ja selbst mein Fantasie-Prinz Paris ein Vorreiter der Emanzipation!
»So jung bist auch nicht mehr«, gibt Sebastian zu bedenken, »und, na ja …«
Sein Blick wandert abschätzig über meinen Körper. Na, vielen Dank auch. Mir reicht’s jedenfalls.
»Tut mir leid, aber ich ziehe nur Partner in Erwägung, die bereits bewiesen haben, dass sie mir multiple Orgasmen bescheren können«, entgegne ich undamenhaft. »Danach sieht es bei dir erst gar nicht aus!«
Ich lasse Sebastian stehen und rausche mit hoch erhobenem Kopf davon. Geschieht Papa recht, dass er nun die Gäste allein hinauskomplementieren muss – was lädt er auch solch einen Idioten ein!

***

»Das hast du echt gesagt?«, kichert Lotti.
Mal wieder habe ich mich von meinen Büchern weglocken lassen und schlendere Arm in Arm mit meiner Cousine durchs Dorf. Angeblich hat auf dem Dorfanger ein Zirkus Station gemacht.
»Klar«, sage ich, »das blöde Gesicht hättest du sehen sollen!«
In Wahrheit halte ich die Sache mit den multiplen Orgasmen für ein Gerücht. Allerdings werde ich das Lotti nicht auf die Nase binden, sonst muss ich mir den ganzen Abend Tipps zur Verbesserung meines Sexuallebens anhören.
»Macht ja nix. Irgendwo gibt es zu jedem Topf den passenden Deckel«, behauptet meine Freundin.
Na, hoffentlich! Mein Vater war richtig geknickt, dass ich mit Sebastian so gar nichts anfangen konnte. Ich dachte schon, er will endlich Großvater werden, aber er scheint sich hauptsächlich Sorgen darum zu machen, dass ich eines Tages ganz allein dastehen könnte.
»Sieh nur, das Zelt«, quietscht Lotti an meiner Seite und hüpft begeistert neben mir auf und ab. Grinsend knuffe ich sie in die Seite, was ihr ein lautes Kreischen entlockt. In ihrem pinkfarbenen Top und der knallengen Hose mit Tigermuster sieht sie ein bisschen so aus, als sei sie selbst Teil des Ensembles. Ein Ausflug mit Lotti ist wirklich immer witzig.
Auch wenn ich finde, dass der Zirkus eher bescheiden wirkt. Aber ich will keinen auf verwöhnte Adelstochter machen, zahle bereitwillig den Eintritt und lasse mich von Lotti ins Innere und auf eine unbequeme Holzbank bugsieren. Die Luft ist geschwängert von dem Geruch nach Popcorn und Sägespänen, die eher magere Beleuchtung kann nicht ganz verbergen, dass das Inventar und die eifrig herumeilenden Helfer ein wenig in die Jahre gekommen sind. Trotzdem macht sich eine erwartungsvolle Spannung unter den anwesenden Dorfbewohnern breit.
Die Vorstellung entspricht so ziemlich dem, was ich bei dem Anblick des ausgebleichten Zeltes erwartet habe. Obwohl ich den Schaustellern zugutehalten muss, dass sie sich wirklich Mühe geben, die Zuschauer zu unterhalten. Die dann auch pflichtschuldig den Seiltänzern applaudieren und über die Späße des Clowns lachen.
Wenigstens verzichtet man hier auf wilde Tiere, die haben meiner Ansicht nach sowieso nichts in einem Wanderzirkus verloren. Nur Pferde wurden als Bestandteil des Programms angekündigt, doch die kommen offensichtlich erst ganz zum Schluss.
Unruhig rutsche ich auf der harten Bank herum. Schön langsam tut mir der Hintern weh. Doch bevor ich mich bei Lotti darüber beschweren kann, wird es noch ein wenig dunkler im Zelt, dramatische Klänge ertönen – und dann stürmen vier wunderschöne Rappen in die Manege, gefolgt von einem einzelnen, ganz in schwarz gekleideten Mann.
Ich halte den Atem an. Doch mich faszinieren weniger die eindrucksvoll schwarz schimmernden Tiere, die elegant ihre Runden drehen, sondern der Mann, der scheinbar unbeteiligt hinter ihnen her schlendert. Irgendwie erinnert er mich an Kurt Russel in ›Die Klapperschlange‹, nur ohne diese dämliche Augenklappe. Ach was, Kurt Russel! Der ist gar nichts gegen den Kerl, der sich in diesem Augenblick auf den Rücken eines der trabenden Pferde schwingt und sofort eins mit dem Tier zu werden scheint.
Mein Mund ist ganz trocken und ans Luftholen ist gar nicht zu denken, während er aufsteht und scheinbar mühelos auf den Rücken eines anderen Tieres wechselt. Ein einzelner Scheinwerfer strahlt ihn nun an, und seine schwarze Kleidung lässt keine Fragen zu seiner umwerfend durchtrainierten Figur offen. Wieder wechselt er das Pferd, ein Taschentuch segelt zu Boden und wird in der nächsten Runde wie selbstverständlich wieder aufgesammelt, indem er sich halb vom Pferd fallen lässt. Doch schon sitzt er wieder oben, während das Publikum jubelt.
Ich röchle. Ach ja, atmen. Da war doch was.
»Suuuper!«, brüllt Lotti an meiner Seite.
Die Pferde drehen noch ein paar Runden. Immer wieder wechselt der Reiter in rasanten Manövern das Tier, bis er am Ende mit je einem Fuß auf dem Rücken eines Pferdes steht. Dann ist es auch schon vorbei, sie galoppieren hinaus.
»Applaus für Bruno Brunelli!«, brüllt der Zirkusdirektor, und ohrenbetäubender Beifall brandet auf.
»Bruno Brunelli«, hauche ich leise.
Da wird es auch schon wieder hell im Zelt.
»Mann, das war ja mal cool«, tönt Lotti, »das ist den schmerzenden Arsch ja glatt wert!«
Ich lache befreit auf. Lottis Worte scheinen den Zauber des Schaustellers gelöst zu haben. Obwohl – will ich jetzt wirklich einfach so nach Hause gehen? Zu gerne würde ich mir diesen Bruno Brunelli noch ein wenig genauer ansehen.
»Ich möchte gerne überprüfen, ob die Pferde anständig untergebracht sind«, erkläre ich mutig.
»Echt jetzt?«, fragt Lotti zweifelnd. »Die sahen tipp topp in Ordnung aus. Kann ich mir nicht vorstellen, dass die Tiere hier schlecht behandelt werden.«
»Trotzdem«, beharre ich. »Man hört ja so einiges von Zirkustieren!«
Dass ich keine Ahnung habe, welchen Eindruck die Tiere gemacht haben, weil ich nur Augen für den Mann hatte, erwähne ich lieber nicht.
»Also gut, einen Blick können wir ja riskieren«, lenkt meine Freundin ein, und so kommt es, dass wir das Zelt umrunden und die bunten Wagen ansteuern, die dahinter aufgestellt worden sind. Das gelbe Flatterband mit der Aufschrift ›Privat – Kein Zutritt‹ ignoriere ich geflissentlich. Schließlich ist das unser Dorfanger, es gibt sogar eine Urkunde, die bescheinigt, dass die Wiese der ganzen Dorfgemeinschaft zur Verfügung steht, auf der hat noch mein Ur-Ur-Ur-Großvater mit unterschrieben. Außerdem will ich ja nur kurz gucken. Dennoch klopft mein Herz wie wild, als wir an den Wohnwagen vorbeigehen.
»Also ich weiß nicht …«, quengelt Lotti.
Doch da sehe ich sie schon. Die Rappen stehen an einem provisorischen Anbindeplatz, tragen inzwischen alle bunte Decken, die aussehen, als seien sie aus alten Clownkostümen genäht und mampfen zufrieden Heu. Einen Eimer Wasser entdecke ich ebenfalls.
»Siehst du, alles in Ordnung, lass uns gehen«, sagt Lotti nervös.
Doch meine Enttäuschung darüber, dass ich nicht wenigstens noch einen kurzen Blick auf den Reiter werfen kann, weicht der Begeisterung über die wunderschönen Tiere. Ich gehe zu dem ersten Pferd in der Reihe.
»Fein habt ihr das gemacht«, lobe ich und klopfe ihm den Hals.
»Was hast du hier zu suchen?« Die rauchige Stimme mit dem strengen Unterton jagt mir sofort einen Schauer über den Rücken. »Finger weg. Und hör’ sofort auf, die Tiere mit Zucker vollzustopfen!«
Ganz langsam drehe ich mich um und halte zum Zeichen meiner Unschuld die leeren Hände hoch.
»Hab ich gar nicht«, murmle ich schwach. Ein Wunder, dass ich überhaupt ein Wort herausbringe. Vor mir steht der Reiter, und aus der Nähe betrachtet wirkt er noch beeindruckender als in der Vorstellung. War er da auch schon so groß und breitschultrig? Jedenfalls sieht er ziemlich bedrohlich aus, wie er sich da so vor mir aufbaut, zwei Wassereimer in der Hand, und mich aus dunklen Augen verärgert anfunkelt.
»Ich wollte nur …« Ja, was eigentlich?
Lotti hält sich derweil dezent im Hintergrund. Hilfe!
»Die süßen Pferdchen streicheln, schon verstanden«, spottet er. Wie kann er mit so einer tollen Stimme so gemeine Sachen sagen?
»Sie sollten sich freuen, dass Ihre Nummer so gut ankommt«, entgegne ich. Ha, eine schlagfertige Antwort! Allerdings würde ich damit wohl mehr Eindruck schinden, wenn ich mich nicht wie eine Quietscheente anhören würde.
Er stellt die Eimer ab. Ich schlucke. Lotti, rette mich!
»Und du«, sagt er und kommt noch einen Schritt näher, »solltest die Privatsphäre anderer Leute achten. Lass dich hier lieber nicht mehr blicken, sonst …«
»Sonst was …?«, krächze ich. Am liebsten würde ich die Beine in die Hand nehmen. Aber irgendwas hat er an sich, es widerstrebt mir zutiefst, einfach so klein beizugeben.
»Sonst müsste ich dir wohl eine Lektion erteilen«, knurrt er und sein Gesicht nähert sich meinem. Mein Herz droht zu zerspringen und meine Knie werden weich. Er will mich doch jetzt nicht küssen?